Die letzte Pop-Messe

Wenn ein König stirbt, wird in der Regel Staatstrauer ausgerufen. Im Fall von Michael Jackson, dem selbsternannten King of Pop, tat das niemand. Und doch schien es als würde die ganze Welt Trauer tragen, als er am 25. Juni starb.

So menschlich war die Kunstfigur Michael Jackson seit Jahrzehnten nicht aufgefallen. Es war sein letzter großer Auftritt im Rampenlicht: Am 7. Juli trauerten tausende Fans, Familie und Freunde im Los Angeles Staples Center um ihr Idol, ihren Vater, Bruder und Sohn. Millionen Menschen in aller Welt verfolgten das Ereignis via Fernsehen und Internet. „Seit ich auf der Welt bin war mein Daddy der beste Vater, den man sich vorstellen kann… Ich liebe ihn so sehr.“ Mit diesen Worten rührte Jacksons elfjährige Tochter Paris die Welt zu Tränen. In einem goldenen Sarg, bedeckt mit roten Rosen, wurde der Leichnam des Popstars in die Halle gebracht. Ein inszenierter Tod, so bizarr wie sein Leben. Zwar wurde es keine Inszenierung á la Hollywood, wie zuvor medial gemutmaßt worden war. Auch der größte Massenauflauf der Musikstars blieb aus. Eine Live-DVD von der Trauerfeier ist bis heute nicht erschienen. Stattdessen fiel der letzte Vorhang in Form einer Pop-Messe vom Feinsten.

Zwischen Black and White

Michael Jackson hat die Pop-Musik geprägt wie kein anderer. Nicht nur optisch hat er die Grenzen zwischen Black and White aufgehoben. Manche Fans sind überzeugt: Er hat den Weg geebnet für den ersten schwarzen Präsidenten der USA. Dennoch galt „Jacko“ wohl für die meisten als Freak, als einer, für den es keine Grenzen gab. Wenngleich in einem Prozess freigesprochen, blieb doch der Geruch des Kinderschänders an ihm haften. Kaum jemand kannte den wahrscheinlich größten Pop-Star des vorigen Jahrhunderts wirklich, doch seine Musik hat die meisten von uns geprägt. Wenn wir zum Song „I Just Can’t Stop Loving You“ zum ersten Mal küssten oder uns beim Video zu „Thriller“ fürchteten, gab es diesen Freak nicht. Dann war Jackson ein Entertainer von Meisterklasse, einer der größten Musiker unserer Zeit. Eben der süße Zehnjährige von den „Jackson Five“.

Mit der Trauerfeier kam die Unschuld zurück. Es ging nicht mehr um Missbrauchsvorwürfe und um die oft seltsam anmutenden Auftritte des Stars. Im Mittelpunkt standen seine Musik und der Mensch Michael. „Du, wo sind denn all die bösen Menschen begraben, fragt der kleine Sohn seinen Vater beim Betrachten der Gräber“, heißt es in einem Witz. Die Wahrheit ist: es gibt keine. Mit dem Tod kommt das Menschliche zurück, Eigenheiten und schlechte Taten sind vergessen. Plötzlich hatten wir als Zuschauer das Gefühl, wir hätten dem King of Pop jahrelang Unrecht getan. Und vielleicht ein Stück weit seine Genialität vergessen.

“Gott braucht ihn mehr”

„Seit er ein Kind war, führte Michael Jackson für seine Familie und Fans brav seine Pflichten auf der Bühne aus. Gestern haben sie ihn einmal mehr zu einer Show gezwungen“, wird der britische „Guardian“ am nächsten Tag titeln. Die ungarische Zeitung „Magyar Nemzet“ macht aus Jackson gar eine Erfindung der Amerikaner: „Als Ersatz für den dekadenten Nikolaus haben sie in der Sowjetunion Väterchen Frost geschaffen, in den USA Michael Jackson. Weil die Menschen sich von Gott abgewandt haben, aber trotzdem immer noch jemandem ähneln wollen.“

Nach dem Auftritt eines Gospelchors zu Beginn bringen auch die prominenten Trauerredner immer wieder religiöse Aspekte mit ein. Etwa Sänger Stevie Wonder, als er sagt: „Wir brauchen Michael, aber Gott braucht ihn noch mehr.“ Jetzt und hier finden sie im Glauben Halt. Hinter Wonder, Kollegin Mariah Carey und diversen Predigern blitzen immer wieder sakrale Elemente hervor: bunte Kirchenfenster, die an die Videowall projiziert werden. Es ist ein Dankgottesdienst, eine letzte Messe für den Kurzzeit-Schwiegersohn des King of Rock’n’Roll. Auf aller Welt trauern die Fans auf ihre Weise, einige halten Trauerminuten ab, andere imitieren in den Straßen ihr Idol: zwischen leise und laut, trauernd und bunt. Etwas Besonderes ließ sich ein anonymer deutscher Fan einfallen: Er bat in der kleinen katholischen Pfarre Gündelwangen in Bonndorf um eine Messe in Gedenken an den Star. Da spielte es keine Rolle, dass der streng nach den Regeln der Zeugen Jehovas erzogene Jackson später zum Islam konvertiert war. Im Tod sind alle Menschen gleich – aber vor Gott scheinen sie für viele noch gleicher zu sein.

(Anm.: Den Artikel hatte ich eigentlich im Herbst für „Kirche In“ geschrieben, er wurde dann allerdings aus Platzmangel nie gedruckt. Und hey, bis zum 1. Todestag will ich mit der Veröffentlichung auch nicht warten! ;))