Qual der Wahl

Ein bisschen beneide ich diejenigen, die ihre Stimme bereits per Briefwahl abgegeben haben. Aber erstens zelebriere ich den Wahlsonntag bis heute: Ich mag es, in meinem Sprengel bekannte Gesichter zu sehen, ich mag es, mit den Leuten zu plaudern, ich mag es, wenn langsam die ersten Hochrechnungen reinkommen. Und was viel wichtiger ist: Ich habe – wie angeblich derzeit noch jeder vierte wahlberechtigte Österreicher – keine Ahnung, wem ich meine Stimme geben soll. Selbstverständlich kann ich einige Parteien für mich ausschließen: Weil sie absolut nicht annähernd das vertreten, wofür ich lebe und stehe, weil sie niederträchtige, menschenverachtende Wahlkämpfe bzw. Schlammschlachten führen und in Wirklichkeit wohl sogar noch näher am braunen Rand zu finden sind, als es ihre Plakate und Programme verlautbaren, weil ich Profilierungssüchtige von noch Profilierungssüchtigeren glaube, unterscheiden zu können.

Nach dem weiteren Ausschlussverfahren kämen sogar noch weniger Parteien in Frage, denn zumindest im Wiener Schilderwald (es wird aber in anderen Städten kaum so viel anders sein) erkenne ich hauptsächlich solche Botschaften: „Wählt mich, damit die anderen nicht mehr Macht bekommen!“, „Die anderen sind die Bösen, wir sind die Guten!“, „Gegen die anderen! Aber warum sollte ich FÜR euch sein? Sich gegenseitig zu beflegeln ist doch in politischen Diskussionen genauso unsexy, als würden sich zwei Kerle um mich prügeln. Nichts für ungut, aber das zieht dann wohl eher bei geistig Umnachteten als bei Menschen mit Verstand – sowohl in der Politik als in der Disco.

Elefant, Maus oder was dazwischen?

Mit Angstmache und Umsichschlagen sollte niemand eine Wahl gewinnen können. So einfach ist meine Stimme nicht zu haben. Soll ich wirklich davon ausgehen, dass es wieder zu einer – gäähhn, aber naja… – großen Koalition kommen wird? Und das Kreuzerl bei der Partei machen, die in diesem Mix noch eher meine Werte und Interessen vertritt? Soll ich jetzt schon denken, dass ich Blau nur verhindern kann, wenn ich meine Stimme nicht an eine der kleineren Parteien „verschwende“? Was gibt’s überhaupt an echten Alternativen?

Und wie kann es überhaupt Verschwendung sein, seine Stimme abzugeben, nur weil man nicht dem Mainstream (oder blind der Herde) folgt? In Deutschland haben 15 Prozent der Wähler am vergangenen Sonntag für Kleinparteien gestimmt, die großteils nie den Hauch einer Chance hatten, in den Bundestag zu kommen. Auch wenn sich viele von uns in den imaginären Bart lachen, weil das BZÖ nach der kommenden Wahl wohl Geschichte sein wird (und ich kann an dieser Stelle zumindest verraten, dass das für mich genauso wie die FPÖ eine absolut unwählbare Partei ist, egal ob ich mit Bucher vielleicht noch eher privat auf ein Bier gehen würde als mit Strache): Wie soll jemals echter Meinungspluralismus möglich sein, wenn diese ebenso wie Neos, Piraten, KPÖ, usw. zwar gewählt werden, aber kaum etwas werden bewegen können? Was soll ich davon halten, wenn sich Faymann und Spindelegger vor der ORF-Elefantenrunde mit den Kleineren drücken? Was ist das Zeichen vor allem für die jungen Wähler, wenn sie das Gefühl bekommen könnten, dass es eh wurscht ist? Persönlich hätte ich mir noch ein bisschen mehr Überzeugungsarbeit gewünscht.

Rucke die guh, Blut ist im Schuh…

Ich weiß, wie viele der jungen, älteren und alten Politiker aller Farben sich vor allem in den letzten Monaten die Füße blutig laufen, um ein möglichst gutes Ergebnis zu erkämpfen. Noch wissen wir alle nicht, für wen es sich am Ende auszahlen wird und für wen nicht. Dann ist aber ohnehin klar, dass mit Kipferln, Feuerzeugen und Türhängern alleine kein Wahlkampf gewonnen wird. Dass die Parteien vor allem auch in den Jahren zwischen den Wahlen überzeugen müssen. Aber bei aller Liebe: Das tun sie nicht. „Vielleicht kommt mein Kreuzerl zu den Neos. Die hatten ja bisher noch keine Chance, mich zu enttäuschen“, sagt André Heller im Kurier. Um noch einmal den Vergleich mit der Disco zu wagen: Ich fange aber auch nicht mit jemandem eine Beziehung an, nur weil der mich bisher noch nicht enttäuscht hat.

Weil’s eben nicht wurscht ist

Wenn ich am Sonntag meine Stimme abgebe, dann entscheide ich aktiv im Rahmen meiner Möglichkeiten mit, wie sich mein direktes Lebensumfeld weiterentwickelt. So sehe ich das, auch wenn es für manche vielleicht naiv klingen mag. Im Bett liegen zu bleiben und danach zu jammern, spielt’s nicht. Das Leben ist doch letztlich eine Abfolge von Entscheidungen. Sich entscheiden zu dürfen, ist ein Privileg. Für uns Bürger gilt es, dieses wahrzunehmen. Und für die Politik gilt es, uns mit unseren Anliegen und Vorschlägen ernst zu nehmen. Das werden sie aber vermutlich eher tun, wenn’s uns nicht wurscht ist. Also zeigen wir ihnen am kommenden Sonntag, dass es ihnen nicht wurscht ist! Und in meinem Fall: Wo auch immer das Kreuzerl letztlich stehen wird: Ich zeige damit, dass ich echten Fortschritt will. Dass ich in einer fairen, sozialen, nicht diskriminierenden Gesellschaft leben will. Dass eine Familie für mich nicht automatisch aus Vater, Mutter und Kind besteht. Dass ich FÜR Gleichbehandlung bin: von Frauen und Männern, von Ausländern und Inländern, von Arbeitern, Angestellten und Selbstständigen, von „denen da oben“ und „uns da unten“. Dass ich weit mehr Bildung für dieses Land fordere. Aber dass ich auch für Selbstbestimmung und Wahlfreiheit bin. Und natürlich für Umweltschutz, Tierschutz, Nachhaltigkeit,… Gegen Überbürokratisierung, Stillstand, Korruption und ewige Streitereien. FÜR frische Ideen und Idealismus.

Ich bin dann mal weg. Wahlprogramme studieren…

c Sabine KarrerEne mene Muh – und wen wählst du?