Warum ich nicht will, dass Paul zwangsverpflichtet wird

Die „Schlacht“ um Berufsheer oder allgemeine Wehrpflicht ist also geschlagen. Was mich freut: Die überraschend hohe Wahlbeteiligung von rund 50 Prozent. Nein, viel ist das nicht. Aber unter den Umständen war es nicht zu erwarten. Was mich überrascht: Dass offenbar nur 2,5 Prozent der Stimmen ungültig waren. Nicht, dass ich es toll fände, ungültig zu wählen, aber es hat mich eben überrascht, dass doch so viele eine eindeutige Meinung zu dem Thema hatten.

Was mich ärgert: Die große Freude von Bundesheer und Rotem Kreuz. Natürlich profitieren Sie am meisten von der Tatsache, dass nun wohl kein Berufsheer kommen wird und der Zwang, dass junge Männer Monate ihres Lebens verschwenden müssen (außer, sie können es sich „richten“) aufrecht erhalten bleibt. Und dass die verschiedenen Parteien jetzt versuchen, die Stimmen für oder gegen Berufsheer/Wehrpflicht für sich zu verwenden. Gute Frage einer Bekannten gerade auf Facebook: „Hab ich irgendwas falsch verstanden bei der Wahl????ich hab KEINE Partei gewählt!!!!!!!!“ – Das sehe ich auch so und bin etwas befremdet. Wenngleich nicht überrascht. Leider dürfte das genau den Menschen recht geben, die nicht zur Volksbefragung gegangen sind. Schade eigentlich. Was ich mich frage: Wie viele Menschen, die es selbst überhaupt nicht betrifft, haben heute eigentlich (im Namen aller nachfolgenden Generationen) für die Beibehaltung der Wehrpflicht gestimmt? Was mich traurig macht: Dass der kleine (fiktive) Paul, sollte er einmal geboren und 18 werden, vermutlich auch gewzungen sein wird, sich für Bundesheer oder Zivildienst zu entscheiden. Dass er sich dort im schlimmsten Fall entweder von teils nicht ganz koscheren Ausbildnern drillen, leere Kasernen bewachen oder sonstige unnötige Dienste leisten werden muss – oder (bei aller Wertschätzung unserer sozialen Organisationen) dort als billige Arbeitskraft missbraucht werden wird.

Dabei hatte ich doch extra für Paulchen einen Brief geschrieben, den ich gemeinsam mit meinem Stimmzettel ins Kuvert gesteckt habe. Kabarett pur im für mich zuständigen Sprengel, weil ich natürlich vorher gefragt habe. Ich: „Ist denn meine Stimme eh gültig, wenn ich zwei A4-Seiten ins Kuvert stecke?“ – Er: „Ach, wieso wollen Sie das machen?“ – Ich: „Weil ich auch eine echte, ausführlichere Meinung zum Thema habe – zusätzlich zum Kreuzerl am Stimmzettel.“ – Er: „Geben Sie es nicht hinein, das liest ja dann keiner. Wir werfen das weg.“ – Ich: „Das war nicht meine Frage. Ich will nur wissen, ob es meine Stimme ungültig macht oder nicht.“ – Er: „Sie können Ihre Meinung ja ans Ministerium oder so schicken. Aber hier wird das niemand lesen.“ – Ich: „Ja, aber das war erstens nicht meine Frage und zweitens mache ich das sowieso.“ (Ich wollte ihm nicht mit „Ich poste es sowieso auch auf Facebook und Twitter kommen, das wäre sicher zu kompliziert geworden…) – Er: „Machen Sie es nicht, es bringt wirklich nichts.“ – Ich: „Wollen Sie wirklich nicht verstehen, was ich will? Also… wird meine Stimme jetzt gezählt, auch wenn ich den Brief mit ins Kuvert stecke? Oder nicht?“ – Er: „Wirklich, nehmen Sie ihn wieder mit, schicken Sie ihn an die richtigen Stellen.“ – Ich: „Sagen Sie, ganz ehrlich: Das war doch eine einfache Ja-/Nein-Frage. Also: Gültig oder nicht??“ – Er: „Die Stimme gilt schon, aber…“ – Ich: „Danke, nichts anderes wollte ich wissen. Darf ich jetzt mein Kreuzerl machen gehen?“

(Für alle, die währenddessen draußen in der immer länger werdenden Schlange warten mussten: Es tut mir eh leid… ;)))

SORA/ISA im Auftrag des ORF

Hier der Brief an den fiktiven Paul:

(Meine Mutter meinte übrigens: „Ich werde Paul, wenn es ihn geben wird, eines Tages davon erzählen…“ ;)))

Mein lieber Paul,
Sohn, den ich eines Tages haben werde (oder auch nicht),

für dich und andere deiner Generation habe ich am 20. Jänner 2013 in einer Volksbefragung für ein Berufsheer in Österreich gestimmt. Die Alternative wäre gewesen, sich für die Beibehaltung der sogenannten allgemeinen Wehrpflicht zu entscheiden. Das hätte bedeutetet, dass alle jungen Männer, sofern sie gesundheitlich für fähig befunden wurden, Dienst an der Waffe oder als Zivildiener leisten mussten. Paul, die Wochen und Monate vor dieser Abstimmung waren hart. Verschiedene Parteien haben versucht, die Bevölkerung für sich einzunehmen. Die Werbespots für oder gegen die Wehrpflicht, politische Diskussionssendungen, lange Streitgespräche im Freundes- und Bekanntenkreis,… Ich konnte es am Schluss nicht mehr hören – und bin ehrlich froh, dass es vorbei ist.

Mein Vater (also dein vielleicht mal Großvater ;)) hat gesagt: „Eigentlich sollen ja nur die drüber reden können, die selbst beim Heer oder beim Zivildienst waren.“ Tja, ich kann nichts dafür, dass ich als Frau zwar befragt werde, aber niemals Teil dieses Systems sein musste. Im Zweifelsfall bin ich hier – wie überall anders auch – für Gleichberechtigung. Entweder alle oder eben keiner. Ich bin für keiner. Niemand sollte zwangsverpflichtet werden, viele Monate seines Lebens zu verschwenden (und für viele junge Männer, die ich kenne, war und ist die Zeit bei Bundesheer – und auch beim Zivildienst – zumindest großteils eine Verschwendung). Ein guter Freund hat zum Beispiel monatelang eine leere Kaserne bewacht, mein Bruder beim Roten Kreuz (er wollte nicht „Dienst an der Waffe“ leisten) mehrheitlich stumpfsinnige Tätigkeiten erledigt. Noch krasser formuliert es ein alter Schulfreund von mir: „Die Unfreiheit, die ich damals erleben musste, gönne ich niemandem. Es ist fraglos eine interessante Erfahrung, teilweise derart von dem bisschen Macht, das den Unfreiwilligen soviel scheint, berauschte Vorgesetzte zu erleben, die man sich wohl in keinem Job der Welt antun würde – jedenfalls nicht für ein Taschengeld. Nein, es sind nicht alle beim Heer tätigen Personen im Zivilleben gescheiterte Primitivlinge – falls ich besonderes Pech hatte, ist es vielleicht nicht einmal die Mehrheit. Aber jeder der Ausbilder verrichtet eine Sisyphus-Arbeit, indem er seine Arbeitszeit in die ‚Ausbildung‘ junger Menschen stecken muss, die diese Informationen/Skills nach abgeleisteter Zeit nicht mehr brauchen werden und schon wenig später zumindest eine erneute Grundausbildung benötigen würden, um ‚im Ernstfall‘ dann doch wieder nur als unbedarftes ‚Kanonenfutter‘ dienen zu können – das kann nur frustrierend sein.“

Welche Mutter also würde das ihrem Sohn antun und heute nicht für ein Berufsheer und ein freiwilliges (!), fair bezahltes soziales Jahr stimmen? Ich traue den Menschen in diesem Land viel mehr zu, als die meisten meiner Freunde. Was vielleicht auch damit zu tun hat, dass ich mich seit meiner Kindheit in verschiedenen Bereichen ehrenamtlich engagiere. Auch, weil ich so erzogen wurde. Ich bin überzeugt, dass Menschen, wenn man sie richtig motiviert, freiwillig im Katastrophenschutz, in sozialen Organisationen usw. mithelfen werden. Aber auch, dass es möglich sein muss, Mitarbeiter beim Roten Kreuz und ähnlichen Organisationen entsprechend zu bezahlen – und nicht auf Zwangsverpflichtung und einen Hungerlohn zu setzen. Und wer (egal ob Mann oder Frau) beim Heer arbeiten möchte, soll das bitte tun. Aber eben freiwillig, weil er oder sie das will.

Paul, ich werde dich so erziehen, dass du keine 6 Monate beim Bundesheer brauchen würdest, um „zum Mann zu werden“, wie manche meinen. Betten machen, Knöpfe annähen, Ordnung halten, für andere da sein? Keine Sorge, das lernst du auch bei mir. 😉 Habe ich ja auch gelernt – und ich war nicht beim Heer. Und in den Genen liegt das tatsächlich nicht, das kannst du mir glauben.

Von den Politikern erwarte ich, dass sie nach dem Ergebnis der Volksbefragung (Allgemeine Wehrpflicht & Zivildienst oder Berufsheer & bezahltes soziales Jahr) das Bestmögliche umsetzen. Und nicht weitere Jahre brauchen, um in Sachen Reformen tätig zu werden. Da müssen dann die Experten ran – alle, die nur Posten besetzen, die andere besser ausüben könnten, bitte ich, hierzu dringend auszutauschen. Liebe Politiker, es ist eure Pflicht, den Wunsch der Bürger, die euch demokratisch gewählt haben, umzusetzen. Verschwendet keine Steuergelder und sorgt endlich für ein faires, zeitgemäßes System! Nicht zuletzt für Paul und seine Generation.

Lieber Paul, für mich galt es in der Wahlzelle letztlich nur, eine Frage zu beantworten: Bin ich für oder gegen Zwang? Und das kann ich nur ganz klar mit „gegen Zwang“ beantworten. Ich denke, das war auch in deinem Sinne.

In Liebe,
Sabine (Ich wollte nicht schreiben „In Liebe, deine Mama“, das wäre mir dann jetzt echt seltsam vorgekommen. ;))

via raw.at