Wir sehen einander bei Facebook. Und (dann) auf einen Kaffee.

Wir leben in einer Parallelwelt. Das ist schlecht. Aber auch gut. „Wie antidigital ist die digitale Zukunft?“ haben Bernhard Heinzelmaier und Philipp Ikrath von der Trendagentur tfactory sowie Beate Grosegger vom Institut für Jugendkulturforschung kürzlich im Rahmen einer gemeinsamen Präsentation gefragt. Wie erleben junge Menschen digitale Medien und wie gehen sie damit um? Ist der „Aussteiger“ von heute der Freak von gestern? Und wird es tatsächlich so sein, dass das Kind oder der junge Erwachsene mit ADHS künftig als „normal“ gelten wird, während jene, die Bücher lesen, sich in Ruhe mit sich selbst beschäftigen, als seltsam wahrgenommen werden, wie Heinzelmaier mutmaßt?

Defriending, Deliking, Defollowing

Möglicherweise nicht. Denn gänzlich verloren scheint die Jugend 3.0 noch lange nicht zu sein. Sie ist im Gegenteil „anti-digital, ohne auf Digitales zu verzichten“. Zu dem Schluss kommt Beate Großegger vom Institut für Jugendkulturforschung. „Facebook nervt“, das finden wohl immer mehr junge Menschen. Zwar nutzen dieses Medium nach wie vor 85 Prozent der 14- bis 29-jährigen Österreicher, „aber nicht mehr so begeistert wie noch vor Kurzem“.

„Defriending, Deliking und Defollowing“ – so beschreibt Grosegger die „digitale Avantgarde 3.0“. Demnach liegt „digitaler Suizid“ absolut im Trend. Es sind nicht klischeehafte Eigenbrötler, die sich aus Communities wie Facebook verabschieden, sondern junge, weltoffene Menschen. Allerdings nicht, um anschließend fernzubleiben, sondern um wieder „aufzuerstehen“. Dann eben nicht mehr für hunderte „Freunde“, sondern für einen exklusiven Kreis von wenigen Personen. Es geht um Individualität und Autonomie, sagt Grosegger.

Freiwillige Selbstentblätterung

Aber es gibt auch die andere Seite. Die ist geprägt durch das, was Heinzelmaier als „freiwillige Selbstentblätterung“ bezeichnet. Selfies, die spätestens seit der diesjährigen Oscar-Verleihung selbst dem letzten Menschen bekannt sein müssten, füllen reihenweise Facebook-Pinnwände und Twitter-Timelines. (Ich habe einmal irgendwo gelesen, das Menschen in sozialen Netzwerken tendenziell weitaus weniger lügen oder beschönigen als etwa bei Online-Partnerbörsen. Wenn ich mir die Pinnwände meiner Freunde und Bekannten ansehe und das mit früheren Single-Plattform-Erfahrungen vergleiche… Ja, das stimmt. ;))

Woher dieser Hang zur Selbstentblätterung rührt und warum vier von fünf US-amerikanischen Studentinnen bereits sogenannte „nude-selfies“, also selbstgeschossene Nacktbilder, erhalten oder verschickt haben, erklärt Heinzelmaier zwar nicht. Allerdings zeigt er auf, in welchen Systemen die totale Protokollierung beziehungsweise Kontrolle gipfeln kann. Meine Kreditkarte lässt mich diesen Monat keinen Wein mehr bestellen, weil ich bereits „zu viel“ hatte? „Woher nimmt sich diese Kreditkarte das Recht?“ fragte Heinzelmaier berechtigt. Hoffnung macht die US-amerikanische Soziologin Sherry Turkle, der zufolge etwa 18-Jährigen ihre eigenen Eltern auffordern, beim Frühstück doch endlich einmal das Handy beiseite zu legen. Eine „digitale Diät“, eine Art mediale Fastenzeit, einzulegen, wie Turkle vorschlägt – das klingt gar nicht so übel.

Philipp Ikrath von der tfactory, stellt die vermeintlichen Gegenbewegungen einander gegenüber. Wir lesen digital, Print stirbt angeblich, aber Magazine wie „Landlust“ oder „Servus in Stadt & Land“ boomen. Vermutlich haben schon lange nicht mehr so viele junge Menschen Gefallen am Garteln entdeckt wie heute. „Wii Fit vs. Green Fit“, also Bewegung mit der Spielekonsole auf der einen Seite, Bewegung im Freien, im Grünen auf der anderen Seite. „Bitcoin vs. Breadcoin“, die virtuelle Währung steht dem Tausch von echten Waren gegenüber, etwa das Bezahlen eines Bieres mit Erdäpfeln. Für Ikrath sind das alles keine echten Gegenströmungen, sie existieren durchaus gemeinsam.

c Sabine Karrer

Facebook nervt nicht – wenn man weiß, wie

Seit ich (34 Jahre, laut tfactory also nach wie vor zur Gattung der „jungen Erwachsenen“ zählend, die geht nämlich bis 39, ha!) weiß, wie man mit einer Digitalkamera umgeht, also nicht knipst, sondern fotografiert, interessiert mich das Analoge zunehmend mehr. Noch ist es folgenlos geblieben, aber der Gedanke, sich einen alten analogen Apparat anzuschaffen, einmal zu spüren, wie es ist, wenn ich mir Fotos nicht gleich am Display ansehen kann, wenn ich vorher darüber nachdenken sollte, welchen Film ich verwende,… er hat sich festgesetzt. Tools wie Instagram oder diverse Photoshop-Zusatzprogramme versehen Bilder längst mit Schwarzweiß-, Lochkamera-, Vintage-Filtern usw. Digital, aber vermeintlich aus einem längst vergangenen Jahrzehnt.

Bücher und Musik… Ich konnte mich bis heute nicht überwinden, mir einen Kindle oder ähnliches zuzulegen. Bücher muss ich auf Papier lesen, Zeitungen mehrheitlich auch. Wegen mir muss das Verlagswesen bestimmt nicht sterben. Ich schreibe bei Interviews fast ausschließlich mit der Hand mit. Bis heute. Spotify und Youtube halte ich nach wie vor für grandiose Erfindungen. Aber es weckt den Gusto auf mehr. Auf Künstler und Werke, die ich dort nicht finde. Auf meine alten CDs, die jahrelang mehr als Deko- denn als Gebrauchsgegenstände gedient haben.

Und Facebook? Twitter? Es nervt mich nicht. Ich habe durch solche Netzwerke sowohl privat als auch beruflich viele tolle und interessante Menschen kennengelernt. Sie ganz schnell auch ins reale Leben gebracht. Oder umgekehrt. Beidseitig. Die Verschmelzung ist doch das Schöne. „Kennt jemand wen, der mir zu diesem oder jenem Thema was erzählen kann?“ Und schon hat sich aus einer kleinen Vernetzung und einem anschließenden Interview eine schöne Freundschaft entwickelt. Oder aus einer kleinen Nachricht zu einem geteilten Blogposting. Aus der Einladung zu einem Event durch jemanden, wo wiederum jemand war… Facebook… reales Leben… Geht beides Hand in Hand.

Hier werden plötzlich wieder Postkarten und CD-Sampler verschickt, dort verabredet man sich zum Kaffee oder man sitzt Abens mit weit aufgerissenen Augen vor einem sensationellen Text, den einer kurz mal über Facebook geschickt hat. Lauscht einem geteilten Musikstück oder freut sich über Feedback zu veröffentlichten Artikeln und Fotos. Ist atemlos. Vielleicht ein wenig zu rastlos. Aber dann gibt es ja immer noch die Escape-Taste. Und den Freund, den du Tag und Nacht anrufen kannst, wenn’s brennt. Wenn’s eben mal nicht genügt, seinen Frust oder seine Freude einfach nur online zu stellen und zu hoffen, dass jemand reagiert…

© bloomua - Fotolia.com

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