Zur Aufschrei-Diskussion: Dann starr‘ mir nicht auf die Bluse!

Gerade bin ich auf einen Artikel zur Aufschrei-Diskussion gestoßen, der mich ziemlich verärgert hat. In Dann mach doch die Bluse zu! von Birgit Kelle verharmlost die Autorin meiner Meinung nach, worum es in der öffentlichen Debatte geht: Dass Frauen kein Freiwild sind! Und zwar egal, wie viele Knöpfe ihrer Bluse sie öffnen oder wie kurz sie ihre Röcke tragen. Das gleiche gilt übrigens auch für Männer: Ich würde niemals einem Mann, der in irgendeiner Weise von mir abhängig ist (Mitarbeiter, Journalist, auch nicht dem Kellner im Restaurant,…) ungeniert auf den Hintern starren oder ihn unverblümt fragen, wie oft in der Woche er denn zum Fitness geht mit seinen kräftigen Oberarmen. Das gehört sich einfach nicht, das passt nicht.

Wer sich in einer Abhängigkeitssituation von einem anderen Menschen befindet (so wie zum Beispiel die junge Stern-Journalistin von FDP-Politiker Rainer Brüderle), kann auf so eine unverschämte Anmache doch kaum anders reagieren, als sie über sich ergehen zu lassen. Besser ist es natürlich, wenn die vermeintlich schwächere Partei sofort klar stellt, dass hier eine Grenze überschritten wurde und das künftig zu unterlassen ist. Und ja, mit „sofort“ meine ich nicht erst ein Jahr später mittels großer Geschichte im Stern…

Was mich an Aussagen wie jenen von Frau Kelle („Dann mach halt die Bluse zu!“) stört: Dass das Thema Alltagssexismus scheinbar nicht ernst genug genommen wird. Um es kurz klarzustellen: Ich bin keine Super-Emanze. Ich gendere maximal dann, wenn es sich nicht vermeiden lässt, ergo wenn man es von mir verlangt. Und (da stimme ich Frau Kelle zu): Auch für mich grenzt das Sendekonzept des RTL-Bachelor an Prositution!Ich würde mich als Feministin bezeichnen, als eine, die Gleichberechtigung für alle will. Ich werde weder rot noch zücke ich meinen Pfefferspray, wenn mir ein Bauarbeiter nachpfeift. Ich kann aufstehen und mich verbal zur Wehr setzen, wenn mir ein Mann in der U-Bahn absichtlich zu nahe kommt. Ich muss wie alle anderen wohl oder übel drüber stehen, wenn mir ein Typ in der Disco an den Hintern grapscht, weil ich im Gedränge kaum ausmachen kann, wer der Übeltäter ist. Ich traue mir zu, entsprechend zu reagieren, würde ein Kunde oder Interviewpartner die Grenze überschreiten. Was mir so noch nie passiert ist, zum Glück. Im Gegensatz etwa zur Frauennetzwerk Medien-Vorsitzenden Karin Strobl, die von einem Politiker gehört hatte: „Sie sind ja eh so hübsch, Sie könnten für den Jungbäuerinnenkalender posieren.“ Im Horizont-Interview erzählt Strobl, warum so etwas für sie „nicht einmal im Smalltalk“ Platz hat.

Was sich nicht gehört

Ja, heute glaube ich, über solchen Dingen zu stehen. Aber ich war nicht immer so. Ich war auch einmal 20 Jahre jung, hatte wenig bis gar kein Selbstbewusstsein und war mit sexistischen Übergriffen konfrontiert, mit denen ich damals schwer umgehen konnte. Das sollten wir alle nicht vergessen. Es geht in der Aufschrei-Diskussion nicht darum, dass wir Frauen ach so arm sind. Und Männer ach so böse. Aber jeder sollte die natürlichen (Scham-)Grenzen respektieren und einhalten. Nur weil ich mich schminke und mir ein hübsches Kleid anziehe, dürfen mir Typen ungeniert in den Ausschnitt starren, mir schmierige „Komplimente“ machen und mich vielleicht sogar noch angrapschen? Aber sicher nicht! Nur weil der gut gebaute Typ bei 30 Grad im Schatten bzw. in der Werkstatt im Unterhemd arbeitet, darf ich ihm hinknallen, dass er ja total gut ausschaut? Und ihm vielleicht gleich noch auf den Oberarm greifen – so á la: „Du gehst sicher viel trainieren! Darf ich mal anfassen?“ Aber sicher auch nicht!

Ich bin mir sicher, dass es auch künftig zu privaten Beziehungen zwischen Politikern und Journalisten kommen wird. (Ob ich das gut finde, ist die andere Frage, hier ist dann wohl besonders viel Objektivität gefragt.) Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Herr Schröder seiner Doris zuerst ungeniert auf die Bluse und ihr auf den Hintern gegrapscht, bevor er irgendwas von „Dirndlausschnitt gut ausgefüllt“ gefaselt hat. Für manches kann man einander auch einfach ganz privat treffen – und bei einem Date ausloten, wie weit man gehen kann oder eben nicht. Ein Nein ist nämlich immer noch ein Nein. Und ein Ja ein Ja.

Ein "Nein" ist ein "Nein", aber es sollte nicht einmal so weit kommen, dass wir "Nein" sagen müssen...

Ein „Nein“ ist ein „Nein“, aber es sollte nicht einmal so weit kommen, dass wir „Nein“ sagen müssen…