Hubert

Für mich ist Sterben eine Verschwendung. Ein ganzes Leben lang, so lange es eben dauert, lernt man ständig dazu. Man kämpft, fällt hin, steht auf, fällt wieder, kämpft weiter. Und noch bevor der Zustand der ultimativen Lebensweisheit erreicht ist, ist man tot. Dann müssen andere Menschen mit Verlust, Trauer und Schmerz umgehen. Kämpfen, fallen, aufstehen, weiterkämpfen.

Hubert zum Beispiel war noch lange nicht fertig. Weder mit seinen Herzensthemen Parteienfinanzierung, Transparenz und Demokratie, noch mit dem Leben an sich. Niemand kann so intensiv leben, dass er mit 60 Jahren fertig wäre. (Ich bin ziemlich sicher, dass sich die wenigsten Menschen auch mit 100 Jahren jemals fertig fühlen würden, aber ihr wisst, was ich meine.)

Ich maße mir nicht einmal ansatzweise an, einen Nachruf auf Hubert zu schreiben. Dafür kannte ich ihn viel zu wenig. Für mich war er lange ein Teil von Austrotwitter. Das war dieser eine Ort im World Wide Web, an dem sich ganz normalen Menschen wie ich hin und wieder sogar mit sehr klugen oder sehr wichtigen oder sehr klugen und wichtigen Menschen, wie Hubert einer war, austauschen konnten. Kann man heute fast gar nicht mehr glauben. Damals, als Twitter noch gut war und nicht als Musks X quasi zum Vorhof der Hölle geworden ist. Als ich um 2011 herum neu auf Twitter war, ist Hubert mir relativ bald aufgefallen. Seine fachliche Expertise war ohnehin unbestritten, aber vielmehr waren es sein Witz, sein Charme und sein Umgang mit Worten, mit denen er einem immer wieder verlässlich in die Tweets gegrätscht ist. Außerdem – und das hat Austrotwitter damals ausgemacht – war er einer von denen, die wichtig und klug waren und sich trotzdem ganz normal mit normalen Menschen wie mir unterhalten haben. Hatte jemand eine Frage, hat Hubert sie unendlich geduldig beantwortet. In Diskussionen war er immer respektvoll. Ihm ging es offenkundig nicht darum, Recht zu behalten, sondern um die inhaltliche Auseinandersetzung. Das haben nach seinem Tod viele geschrieben, unter anderem im Standard-Forum. Wegbegleiter:innen, Studierende, wichtige und kluge Menschen. All das hat ihn ausgezeichnet.

Und so konnte man mit Hubert auch ausgezeichnet scherzen. Seine Zeilen haben zum Schmunzeln, zum Nachdenken oder zu beidem gleichzeitig gebracht. Oft spätabends. Da war es dann auch Hubert, der den Hashtag #Nachteulen für uns erfunden hat. Wenn ich jetzt unsere alten Unterhaltungen nachlese, ist mir nicht zum Lachen. Aber vieles bringt mich unweigerlich dazu.

Wenn jemand stirbt, sagt man, gehen wir oft immer wieder an Orte zurück, an denen wir diesem Menschen zuletzt begegnet sind.

Wenn jemand stirbt, sagt man, gehen wir oft immer wieder an Orte zurück, an denen wir diesem Menschen zuletzt begegnet sind. So bin ich dieser Tage auch in die Direktnachrichten-Inbox zurückgegangen. An diesem heute eher unwirtlichen Ort, den sie X nennen. Die meisten Nachrichten waren bzw. sind noch da. Eine berufliche Anfrage hier, ein Schmäh da, dazwischen sogar ein kleiner Disput, den niemand gewonnen hat und auch niemand gewinnen wollte, denn darum ging es uns beiden nicht. Schon gar nicht Hubert. Alle heiligen Zeiten und sicherlich viel zu selten mal eine Verabredung. Zum Plaudern im Tachles oder zum Vietnamesen auf eine gemeinsame Portion Sommerrollen und irgendeine Hauptspeise nach seiner Empfehlung.

Hubert war auch ein wichtiger Teil von Austrotwitter. Dann begann der #eXit…

Vieles verschwimmt mit der Zeit. So auch unsere letzte Begegnung, die ich falsch in Erinnerung hatte. Die gab es zwar, aber es war nicht die letzte. Rekonstruktion einer argen Zeit. Es war 2021, es war Pandemie und es ging mir nicht gut. Das hatte ich in einem spätabendlichen, sicher sehr grantigen und frustrierten Tweet zum Ausdruck gebracht. Dann kam eine Nachricht von Hubert. Er mache sich Sorgen um mich, wolle keinesfalls übertreiben und mir etwas unterstellen, aber er wolle mich bitte wissen lassen, dass ich vielen Menschen sehr, sehr wichtig sei. Respektvoll und liebevoll. Wieder haben wir Nachrichten ausgetauscht. Heute ist mir bewusst, dass ich damals in eine Depression gerutscht war. Am Ende hatte die auch ein Wiedersehen verhindert. Da lag der Ball bei mir. Zu viel Arbeit, zu viel Negativität, zu viel und zu wenig Leben gleichzeitig. Als ich ab 2023 wieder angefangen habe zu leben, waren wir schon mittendrin im allgemeinen #eXit. Austrotwitter war vorbei, drüben auf BlueSky mussten wir alle uns das neue zweite Wohnzimmer erst einrichten. Hätte ich noch einmal in meine Nachrichten geschaut. Gefragt, wie es ihm geht. Angerufen. Irgendwas. Wir hatten uns in den letzten Jahren aus den Augen verloren und es gab nicht den geringsten Anlass dafür.

Während das Leben weiterläuft, denken wir kaum an das Sterben. Es ist einfach keine Option, dass Menschen, die so selbstverständlich da sind, plötzlich gehen (müssen). Und doch passiert es ständig. Jetzt erinnere ich mich gerne an die immer noch viel zu wenigen Gespräche mit Hubert und bereue, dass wir nicht mehr davon hatten. Aber es war ja noch Zeit. Was sind im Endeffekt schon ein paar Jahre. Die Wahrheit ist: Wir alle haben nur das eine Leben und das endet verlässlich ohne feste Deadline. Oft zu früh. Für Hubert auf jeden Fall viel zu früh. Und für uns alle, die wir ihn sehr mochten, und noch mehr für die, die ihn geliebt haben, viel zu plötzlich.

Man glaubt wirklich immer, die Menschen, die man lange nicht mehr gesehen haben, warten dort auf einen, wo man sich zum letzten Mal gesehen hat. Aber das tun sie nicht.

Barbara Kaufmann (@barbarakaufmann.bsky.social) 2025-05-12T11:25:58.693Z

Es ist, wie Barbara schreibt: Eigentlich sollte Hubert jetzt in einem schönen Schanigarten sitzen und warten, dass wir alle vorbeikommen. Aber ja, das tut er nicht. Er ist nicht mehr da und mit dem Schmerz müssen vor allem seine Liebsten umgehen. Wenn jemand noch so viel Leben vor sich hatte, der Welt, den Menschen um ihn noch so viel zu geben hatte, sollte er nicht einfach weg sein.

Was neben vielen klugen Gedanken, Büchern, Texten, Projekten bleibt, sind Erinnerungen an einen empathischen, hilfsbereiten und feinsinnigen Menschen. Und an einen liebevollen – das Wort kommt mir alleine wegen unserer letzten Unterhaltung in den Sinn. Und das bleibt. Begegnen wir einander doch öfter liebevoll. Sollen die, die ohnehin nichts Gescheites zu sagen haben, weiter herumpoltern. Wirklich gerne erinnern wird man sich am Ende der Zeit viel eher an die, die leisere Töne anschlagen, aber deren Aussagen dafür immer Substanz haben. Auch, wenn es dann zu spät ist und der Platz im Schanigarten leer bleibt.