M.

Es ist jedes Jahr das Geiche: Ich finde jemanden, der mit mir zum Zentralfriedhof fährt. Ich verlaufe mich zwischen den Urnengräbern, bin nah am Verzweifeln, finde es aber doch immer wieder, wenn auch nicht auf Anhieb. Ich setze mich davor, rauche eine Zigarette und führe ein für andere vielleicht seltsam anmutendes Gespräch. Mit M. Ein Mensch, der weit länger aus meinem Leben verschwunden ist, als ich ihn überhaupt kannte. Jemand, der trotzdem weit präsenter in meinem Leben geblieben ist, als es manch andere je könnten.

Ich war nie verliebt in M. Eigentlich weiß ich nicht mal, wieso ich es nie war. Er sah gut aus, war lustig, offen, sympathisch. Ich mochte ihn als Menschen. Einfach für das, was er war. Wir hatten einen tollen Sommer – und als der zu Ende war, war es auch sein Leben. Zerschmettert in vielen Metern Tiefe. Das Warum konnte niemand verstehen. Depressionen sollen es gewesen sein. Ein Grund, ja. Aber keiner, der das Verstehen einfacher macht.

Als es passiert ist, hatte ich gerade einen netten Abend mit Freunden. Aber als ich „es“ am nächsten Tag erfahren habe, war der tolle Sommer schlagartig zu Ende. Als M. den Kampf eine Woche später endgültig verloren hatte (oder „gewonnen“ – ich hoffe bis heute, dass er die Entscheidung wenigstens wieder so getroffen hätte…), hat das ein tiefes Loch in mein Leben und in das vieler anderer gerissen. Allen voran in das seiner Familie.

M. war in vielerlei Hinsicht außergewöhnlich. Die meisten Menschen hätten meine Person damals mehr hinterfragt. Er hat mich so genommen, wie ich war. Dass er sich selbst nicht einfach so annehmen konnte, hatte ich nicht geahnt. Menschen wie M. sind selten. Ich kenne nur wenige. Wenn er mir etwas hinterlassen hat, dann mit Sicherheit das, dass ich seitdem umso mehr versuche, einfach ich zu sein. Let it be. Dass ich das Leben gierig einsauge, weil es zu wertvoll ist. Dass ich versuche, da zu sein, auch wenn ich nicht immer weiß, ob ich genau genug hinhöre.

Und ich werde Coldplays „In my Place“ nie ganz unbedarft hören können. M.s Freunde haben sich damit von ihm verabschiedet. Aber ich höre es gerne. Es erinnert mich an eine schöne Zeit und einen außergewöhnlichen Menschen. Und an das Ende eines Sommers, an dem ich wohl ein bisschen erwachsener geworden bin. Auch wenn ich damals lieber einfach aufgewacht wäre…

Vielleicht warte ich heuer nicht bis August…