McMenschenleben

Wer mich kennt weiß, dass mir relativ selten die Worte fehlen. Über den schrecklichen Ausgang der Loveparade in Duisburg wollte ich schreiben, seit es passiert ist. Aber ich konnte nicht. Wahrscheinlich, weil es zu unfassbar ist. Weil die meisten von uns schon einmal in einer Situation waren, in der sie dachten „oje, das geht vielleicht nicht gut aus“. Aber freilich ist es bei uns gut ausgegangen. Hier nicht. Nun haben wir alle die Bilder des Dramas gesehen. Auf YouTube oder auf Blogs und in diversen Foren. Wir haben gelesen und gesehen, wie gerade noch ausgelassen Feiernde die Katastrophe er- und überlebt haben. Wie groß die Anteilnahme auch unter jenen ist, die nicht einmal in der Nähe waren. Wen das kalt lässt, der trägt sein Herz kaum am rechten Fleck. Was meinen Sie, Frau Hermann?

Rainer Schaller und Adolf Sauerland sind nur zwei Namen, die stellvertretend stehen für eine menschenverachtende Macht: die von Profitgier und Profilierungssucht. Ich nehme beiden sogar ab, dass sie derzeit nicht gut und nicht viel schlafen. Wahrscheinlich tut es ihnen sogar leid. Ihnen und allen anderen, die sich jetzt gegenseitig beschuldigen. Bis hin zu den vielzitierten „kleinen Rädchen“, den Bauhacklern und Ordnern, die möglicherweise blind Befehle ausgeführt haben, die sie insgeheim für unverantwortlich gehalten haben. Menschen, die sich – wie nach und nach herauskommt – haben unter Druck setzen lassen, die mörderischen Pläne zu unterschreiben. Und Mächtige aus Politik und Wirtschaft, die wohl unter Druck gesetzt haben. Auch wenn natürlich die Unschuldsvermutung gilt.

Fakt ist: 1,4 Millionen vorwiegend junge Menschen wollten feiern. Love, Peace and Techno. Sie alle haben sich vertrauensvoll in die Hände von Stadt und Veranstalter begeben. So wie wir es machen, wenn wir ein Flugzeug besteigen oder ein Lokal besuchen. Wir müssen vertrauensvoll davon ausgehen, dass alles Menschenmögliche getan wird, um für unsere Sicherheit zu garantieren. Nun sind 21 Menschen tot. Und über 500 wurden teils schwer verletzt. Eltern müssen dieser Tage ihre Kinder begraben. Für Hunderte und Tausende wird das Leben nie mehr so sein wie vor dem 24. Juli 2010.

Gerichte werden die Schuldfrage klären. Darauf berufen sich ja auch die nach unserem Verständnis Schuldigen. Schaller, Sauerland, Behörden und Co hüllen sich weitgehend in Schweigen. Ja, es tue ihnen leid. Was passiert sei – aber Schuld hätten letztlich trotzdem die anderen. Oder (ich empfinde das als blanken Hohn angesichts der im Internet kursierenden Handyvideos) gar die Verunglückten selbst.

Ein aufrichtiges „Entschuldigung, wir haben richtig Scheiße gebaut, Sicherheitsstandards missachtet, aus reiner Profitgier und Profilierungssucht am falschen Ende gespart, Menschen, die sich uns anvertraut haben, praktisch in eine Todesfalle geschickt.“ wäre angebracht. „Oder wenigstens einfach nur ein ehrlich gemeintes „Entschuldigung“. Solche Worte würden Eltern ihre Kinder auch nicht mehr zurück bringen. Aber sie hätten es verdammt nochmal trotzdem verdient. Und meine Generation hätte es verdammt nochmal verdient zu sehen, dass Leben IMMER vor Geld steht. Ob im Golf von Mexiko oder in Duisburg. Gleichzeitig muss es das Aus bedeuten für „noch hörer, noch schneller, noch weiter“, für immer noch mehr Risiko. Aus für die Mcs: die McGeiz-ist-Geils, die McSicherheits, die McMenschenleben.